Dienstag, 17. Februar 2015

Highway to Hal


Vom Schwimmen in Seen und Flüssen 

Im bleichen Sommer, wenn die Winde oben
Nur in dem Laub der großen Bäume sausen
Muß man in Flüssen liegen oder Teichen
Wie die Gewächse, worin Hechte hausen.
Der Leib wird leicht im Wasser. Wenn der Arm
Leicht aus dem Wasser in den Himmel fällt
Wiegt ihn der kleine Wind vergessen
Weil er ihn wohl für braunes Astwerk hält.
Der Himmel bietet mittags große Stille.
Man macht die Augen zu, wenn Schwalben kommen.
Der Schlamm ist warm. Wenn kühle Blasen quellen
Weiß man: Ein Fisch ist jetzt durch uns geschwommen.
Mein Leib, die Schenkel und der stille Arm
Wir liegen still im Wasser, ganz geeint
Nur wenn die kühlen Fische durch uns schwimmen
Fühl ich, daß Sonne überm Tümpel scheint.
Wenn man am Abend von dem langen Liegen
Sehr faul wird, so, daß alle Glieder beißen
Muß man das alles, ohne Rücksicht, klatschend
In blaue Flüsse schmeißen, die sehr reißen.
Am besten ist´s, man hält´s bis Abend aus.
Weil dann der bleiche Haifischhimmel kommt
Bös und gefräßig über Fluß und Sträuchern
Und alle Dinge sind, wie´s ihnen frommt.
Natürlich muß man auf dem Rücken liegen
So wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen.
Man muß nicht schwimmen, nein, nur so tun, als
Gehöre man einfach zu Schottermassen.
Man soll den Himmel anschauen und so tun
Als ob einen ein Weib trägt, und es stimmt.
Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut
Wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt. (B.Brecht)


Naja, es war nicht direkt ein Highway, eher eine Landstraße in Mecklenburg- Vorpommern, die ich lang fuhr. Ich hatte meinen Cowboyhut aufgesetzt, ich weiß nicht warum. Ich fühlte mich irgendwie sicher unter dem Hut.
Ich hatte seine Adresse über Umwege erfahren, als ich in Berlin nach jemandem suchte, den ich aufsuchen und befragen konnte. Zum Beispiel zum Thema tiergestaltige Geister. Irgendwie interessierte mich das schon immer brennend und ich recherchierte gerade für eine Geschichte, die ich schreiben wollte.
Nach langer Zeit des Umhörens empfahl mir jemand jemanden, den ich anrufen sollte, um die Adresse zu erfragen. Und ich sagte laut, das gibt’s doch nicht, als ich erfuhr dass er in einem Dorf mit drei Häusern im Mecklenburgischen wohnte.

Er nannte sich Hal.
Er saß vor einer Art Bungalow. Das Grundstück drum herum war eingezäunt, also es waren ein paar Pflöcke in den Boden gerammt und diese Pflöcke waren lose verbunden mit Wäscheleinen. An diesen Wäscheleinen hingen bunte Fäden, altes Geschenkband, schätze ich. Die Bänder ließen sich träge vom Wind heben und grüssten freundlich, aber uninteressiert.
Hi, sagte ich.
Hi, sagte Hal.
WillstnKaffee?

Hal war braun. Sehr braun. So braun, dass seine Haut aussah, als wäre sie sehr dick und wasserabweisend. Seine Haare waren blond gefärbt UND ausgeblichen, so weit ich das beurteilen konnte, also fast weiß. Und verfilzt standen sie um seinen Kopf wie ein verknickter Heiligenschein. Seine Augen waren sehr hell und blau und sahen mich durchdringend aus seinem dunklen Gesicht an. Hal trug nur einen Lendenschurz und lila Crocs, was mich etwas verunsicherte, aber seine Halbnacktheit schien kein innerliches Thema für ihn zu sein, so dass seine Körpersouverenität sofort auf mich überging. Er trug seinen großen Bauch so vor sich her, als hätte er darin etwas Besonderes versteckt. Versonnen streichelte er immer wieder über seine Haut, die darüber spannte.
Hal war von der gemütlichen Sorte. Er bewegte sich langsam über den Hof, auf dem er noch Hühner hielt, einen Esel und eine Hündin, die weiß und mystisch durch die Rhododendron und Himbeerbüsche schlich und mich mit ihren Augen aufmerksam beäugte. Die Hühner pickten mit ihren Schnäbeln im Sand herum.

Als Hal mit dem Kaffee zurück kam fragte ich ihn, wie es denn kam dass er Schamane sei- eigentlich sehe er eher aus, wie ein Hippie, aus Deutschland, einer der ausgestiegen sei: Naja, du weißt schon, kein Bock mehr auf Gesellschaft und so.
Ja, genau, antwortete Hal. Mehr sagte er nicht und steckte sich ne selbstgedrehte Zigarette zwischen die Zähne.
Kannst du mir bitte irgendwas von deiner Schamanenkunst zeigen, bat ich ihn, als ich den Kaffee längst ausgetrunken und mich in immer weitere unbeantwortete Fragen verstrickt hatte. Hal sah mich an, lange: Nur wenn ich deinen Hut bekomme.
Aber es ist der schönste Hut, den ich besitze. Ich weiß nicht, ob ich ohne ihn leben kann, sagte ich.
Man kann ohne alles leben, sagte Hal und sein Lächeln kam mir groß und mit schlechten Zähnen entgegen. Es steigerte sich zu einem Lachen und endete in brodelnden Hustengeräuschen von ganz tief unten. Hal zog den Rotz hoch und spuckte auf die heißen Steine. Die weiße Hündin gähnte in einem der Büsche.
In mir fing es an zu fiebern: ich hing an dem Hut, wie der Ast an seinem Baum! Er stammte noch aus der Zeit, als meine Mutter mir erzählte, mein Vater hätte ihn auf einem seiner Reisen über die Flüsse gegen ein paar Flaschen Schlehenschnaps getauscht, um ihn mir zu meinem sechsten Geburtstag zu schicken. Nein, den Hut konnte ich ihm nicht geben, auch wenn ich einsah, dass er dringend eine Kopfbedeckung brauchte, denn die Sonne hatte schon rotbraune Flecken auf die nicht mehr von Haaren gut bedeckte Kopfhaut von Hal gebrannt. Ich wollte ihn über die Risiken direkter Sonneneinstrahlung aufklären, aber dann dachte ich: erstens, dass er’s wissen wird und zweitens ja Schamane ist und sich vielleicht jederzeit selbst heilen kann?
Irgendwann, sah er mich an, nickte mit dem Kopf, strich sich über seinen Bauch und sagte: Komm!

Es dämmerte fast. Das Licht fiel schön golden zwischen den alten Obstbäumen seines Gartens hindurch. Die Rhododendron dufteten als müsse die ganze Welt von ihrer Existenz erfahren. Die weiße Hündin lief selbstverständlich hinter uns her. Manchmal blieb sie plötzlich stehen und starrte zurück. Wohin fahren wir, fragte ich, als er einen Autoschlüssel aus seinem Lendenschurz holte. Hal sah mich an und sagte: nach Hause.
Wir saßen schweigend in seinem Pick Up und fuhren mit 50 Stunden Kilometern durch eine gewundene Allee mit großen alten Bäumen und ich nahm mir mal wieder vor, mehr Baumnamen zu lernen. Rotdorn, sagte Hal, als könne er Gedanken lesen. Du kannst dich jederzeit mit dem Energiekörper eines Baumes verbinden, direkt aus dem Solarplexus. Dein Baum ist übrigens die Kopfweide!
Hä, die Kopfweide? Warum?
Scht! brummte Hal, schüttelte eindeutig mit dem Kopf und zündete sich ne selbstgedrehte an.
Er stoppte den Wagen, nachdem wir links in einen Feldweg eingebogen waren. Ich konnte das Wasser eines Sees schon von weitem riechen. Es roch nach Schlick und Erde. Wir liefen noch ein ziemliches Stück am Ufer entlang. Ich hörte das Gluckern, das die Fische machten, wenn sie kurz an die Wasseroberfläche kamen um nach Fliegen zu schnappen, das Schnattern der Enten im Schilf und den bleichen Haifischhimmel, der tosend in seiner Stille über uns hing.


Ich fühlte mich völlig aufgehoben. Bis sich manchmal mein Kopf einschaltete und darüber nachdachte, dass ich gerade mit einem Mann, den ich erst seit ein paar Stunden kannte, der so gut wie nicht redete und mir noch keine einzige Frage beantwortet hatte, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet gerade dabei war eine Grube auszuheben, die so groß zu werden schien, dass mein Körper genau hinein passte und der scharf auf meinen Hut war ,zusammen war und freiwillig blieb. An einem einsamen See, irgendwo zwischen Weizenfeldern und einem Mischwald! Ich hielt meinen Hut fest und mir kam zu Gute, dass ich mir nur wenig Böses vorstellen konnte und wenn doch, besaß ich einen ausgeklügelten Verdrängungsmechanismus, den ich jederzeit und sofort aktivieren konnte.
Die weiße Hündin lag jetzt so dicht an mir dran, dass ich die Wärme ihrer Haut spüren konnte. Sie gähnte mit weit offenem Maul, um dann ihren Kopf zwischen ihre Pfoten zu legen und verschlafen zu blinzeln. Ich konzentrierte mich auf ihr Herz, dass ich im immer gleichen Rhythmus unter ihrem weißen Fell schlagen sah.

Hal hatte die Grube inzwischen ausgehoben. Er war jetzt dabei ein Steinkreis um die Grube zu legen und Holz für ein Feuer zu sammeln. Das alles geschah sehr langsam, so dass der Himmel bereits tief dunkelblau war, als er das Feuer entzündete.

Er holte mich ab und wir setzten uns in den Kreis.  Ich schaute auf den See. Die Flammen knisterten als würden sie wispern. Wisper, wisper. Die Fische schliefen bereits, denn der See lag jetzt dunkel und glatt und still.
In Hals Fingern raschelte das Zigarettenpapier. Die Dose, die er in der anderen Hand hielt, machte Plopp und Zisch, als er sie mit den Zähnen aufriss und ich bekam auch richtig Lust auf Bier, aber er bot mir einfach keins an, obwohl ich ihn lange und intensiv von der Seite anstarrte, um ihn zu beschwören mir auch eins zu geben. Er rauchte gemächlich bis die Glut ein letztes Mal aufflammte. Er setzte sich hinter mich und hielt seine Hände dicht an meine Wirbelsäule ohne mich zu berühren.. es war als würden die Wirbel beginnen sich zu verschieben, in einer langsamen warmen kreisenden Bewegung.
Als ich mich in den ausgehobenen Sand legte, hielt er meinen Kopf in seinen Händen und wiegte ihn leicht hin und her.
Er begann zu singen in einem tiefen brummenden Ton und ich musste ein bisschen kichern, denn Schamanen mit Bieratem hatte ich mir nicht vorgestellt.

Er stand auf und begann zu rasseln, im Kreis: vor mir, hinter mir, über mir, um mich dann mit dem Sand zu zudecken, der noch warm vom Tag auf meinen Körper fiel.
Die Schwere drückte mich in die Erde. Hal legte mir am Schluss noch ein Tuch über mein Gesicht. Er sagte: in einer halben stunde hole ich dich zurück. Du bist vollkommen sicher. Und ich dachte, wie kann ich solange in dieser Grube liegen.
Ich spürte mein Herz schlagen und Bilder begannen an mir vorbei zu ziehen, schöne und schreckliche, traurige, aufgewühlte, bis mein Körper sich entspannte.

Als ich aufwachte, dämmerte der Morgen. Der Haifischhimmel war zurückgekehrt und wartete noch einen Moment, bevor er das Licht frei lies.
Der Steinkreis war verschwunden, nur die Glut des Feuers glimmte noch. Die Decke, die über mir lag war klamm und die Fische hatten ihr Leben wieder aufgenommen.
Hal war nicht mehr da.
Meine Haut war voll von Sand, ich rieb mir das Gröbste herunter, zog mein Kleid über den Kopf und lief in den blassgrünen See. Unter Wasser schwebten meine Haare wie Seetang um meinen Kopf. Ich schwamm ein paar tiefe Züge in der Hoffnung einem Hecht zu begegnen und dann drehte ich mich auf den Rücken, breitete die Arme aus und schaute in die aufbrechende Sonne. Oh ja, ich war zu Hause! Nenn mich pathetisch! Aber das Leben schoss durch meinen Körper wie eine Zentrifuge!

Konnte das wirklich sein, dass ich alles nur geträumt hatte?
Ich suchte meinen Hut überall und machte mich schließlich auf den Weg, von dem ich sicher war, ihn gestern Abend mit Hal gegangen zu sein.
In mir war es ruhig. Ich konnte es nicht verstehen, denn schließlich war mein Hut weg und ich hatte mir wahrscheinlich einen Schamanen eingebildet, der mich in einer Grube verbuddelt hatte.

Da wo ich den Pick Up vermutete stand mein Auto. Der Schlüssel steckte. Die Hitze im Auto umschloss mich wie ein Freund. Ich fuhr zurück auf die Landstraße. Ich fuhr langsam, denn ich zweifelte  immer noch an meinem Verstand.
Und als ich mein Blick schweifen lies, sah ich sie plötzlich: wie ihr Fell weiß durch die Bäume schimmerte. Sie überquerte die Straße etwa fünfhundert Meter vor mir, ich bremste ab, sie blieb stehen, sah mich an, ein paar Sekunden vielleicht, bevor sie auf der anderen Seite in den weiten Weizenfeldern verschwand.
 


Donnerstag, 12. Februar 2015

Rote Haare



(für K. In<3!)

Sie hatte mal einen Freund, der war Russe und nannte sie „Rote Haare“, dabei rollte er das R wunderschön, wie sie nicht müde wurde zu erzählen. Und sie sagte: das ist der den ich heiraten würde, sofort! Das hatte sie noch nie gesagt, denn sie war ein sehr freies Mädchen, auch damals schon. Es war Nacht, als sie es mir erzählte. Die Wellen schlugen gegen Felsen und irgendeiner von den Hippies spielte Gitarre.
Sie kann wunderbar romantisch sein, meine Freundin und am nächsten Morgen verliebt sie sich in den Hippie mit der Gitarre! Trotzdem sind ihre Gefühle tief. Glaubste nicht? Kannste aber!!
Sie schläft an Stränden und in Bussen. Sie baut Terrassen vor Fenster. Sie baut Plattenspieler in Koffer. Sie lacht viel und manchmal ist sie traurig. Dann aber richtig! Sie wiegt ihr Mädchen in den Schlaf, sie tanzt nächtelang hoch über dem Abgrund und schaut dabei auf’s Meer. Sie ist stark und manchmal ganz schwach, aber das glaubt dann nur sie.  Sie verreist wochenlang und hat 50 Euro in der Tasche.
Wenn sie ein Element wäre, dann Erde!
Geheime Reisetagebücher schreiben wir. Manchmal lesen wir ausgewählten Leuten daraus vor. Wir können uns immer wieder die alten Geschichten erzählen, alte Witze auch. Wir weinen vor Rührung über den gleichen Kitsch (zum Beispiel gern bei dem Lied „Ich liebe dich“ von Clowns und Helden...irgendwie ist es uns peinlich und dann müssen wir lachen. Den Text können wir auswendig!).
Als wir uns in der 7. Klasse kennenlernten, war ihr Lieblingsdichter Heinz Kahlau. Dann auch meiner. Und Sarah Kirsch.
Wenn sie lacht, leuchtet ihr ganzes Wesen.
Sie erkennt in jedem Menschen das Schöne, das nur zur ihr/zu ihm gehört. Das können nicht viele. Sie liebt bedingungslos.
Sie trägt immer nur Röcke und Kleider. Nur ein einziges Mal hab ich sie in einer Hose gesehen. Das war in Leipzig!
Wenn ich widersprüchlich bin, dreht sie mir daraus keinen Strick.
Auf ihrem Handgelenk steht: Ich will lieben, solange ich lebe!


Samstag, 7. Februar 2015

Synchronizität


Synchronizität





Vor drei Jahren fahre ich mit alten Zügen durch die Ukraine bis nach Odessa. Häufig reise ich mit Nachtzügen, schlafe in alten Waggons. Jeder Waggon hat seinen Zugbegleiter. Dieser brüht Tee im Samowar, verkauft heimlich Bier und weckt morgens die Passagiere. Ich liege zwischen alten Frauen, Hühnern und oft auch betrunkenen Männern.
Ich bleibe vier Tage in Odessa- meine letzte Station auf dieser Reise. Ich laufe und fahre mit der Tram durch die Stadt und übernachte in einem alten Hotel mit langen u- förmigen Fluren. Niemand spricht englisch. Ich spreche weder russisch, geschweige denn ukrainisch. Die Hoteldame ist sehr unfreundlich. An einem Morgen gegen fünf, höre ich kräftiges, schnelles Schlagen gegen meine Tür: drei Männer stehen plötzlich im Raum- sie sagen nichts, sondern holen ein Kinderbett, welches im Nebenzimmer steht, heraus und lassen die Tür wieder laut ins Schloß fallen.
An meinem letzten Abend dann überfällt mich unerwartet eine massive Angst. Ich gehe zurück zum Hotel und denke stundenlang, dass ich krank bin und vielleicht in eines der Krankenhäuser muss und mir dort niemand helfen kann, weil ich nicht verstanden werde. Da ich ukrainische Krankenhäuser fotografiert habe auf meiner Reise, weiß ich, dass es nicht ratsam ist sich dort in irgendeiner Weise aufzuhalten. Die Krankenhäuser wirken wie kurz nach dem Krieg. Ich steigere mich immer weiter in eine Panik. Als es wieder hell wird, schlafe ich endlich ein.

Zeitgleich trifft meine Mutter meinen Vater wieder- in Deutschland, nach dreißig Jahren. Ich weiß davon nichts.
Später, als ich wieder zurück bin, wird sie mir von diesem Treffen erzählen. Sie wird mir erzählen, dass er die ukrainische Staatsbürgerschaft angenommen hat, in Kiew lebt und oft in Odessa ist, weil er dort ein Haus baut. Sie wird mir erzählen, dass er sein Geld damit verdient, gebrauchte medizinische Geräte aus Deutschland einzukaufen. Diese verkauft er dann an ukrainische Krankenhäuser. Er erzählt ihr, dass die medizinische Versorgung nach wie vor schlecht ist. Dass es nicht ratsam ist, sich dort in irgendeiner Weise aufzuhalten.





Montag, 2. Februar 2015

"The Return of the Rivers"


           CONTENTS
All the rivers run into the sea;
yet the sea is not full;
unto the place from whence the rivers come,
thither they return again.

 It is raining today
 in the mountains. 
 
It is a warm green rain
with love
in its pockets
for spring is here,
and does not dream
of death.
         Birds happen music
         like clocks ticking heaves
         in a land
         where children love spiders,
         and let them sleep
         in their hair.

        A slow rain sizzles
        on the river
       like a pan
       full of frying flowers,
       and with each drop
       of rain
       the ocean
       begins again."
 


          (aus: Richard Brautigan "The Return of the Rivers")

Gestern war ich an deinem Grab. Ich war bisher nur einmal dort, das ist Jahre her, so dass ich nicht mehr wusste, wo dein Grab war, nur ungefähr wo. Ich wusste noch, dass du kein Grabstein hattest oder bilde ich mir das ein?

Immer wenn ich nach G. komme und in diese Stadt rein fahre, möchte ich kotzen.
Es überfällt mich augenblicklich eine Schwere und eine komatöse Müdigkeit. Die Häuser, die Straßen, die Menschen- alles ist Sumpf. Und ich frage mich ist es deshalb, weil ich hier oft unglücklich war und das Unglück mich wie eine alte Bekannte sofort begrüsst oder ist die Stadt wirklich so übel, wie sie rüberkommt?
Ich hatte mal einen Schamanen kennengelernt. Wir fuhren mit dem Auto über die Landstraßen und als wir kurz vor der Stadt waren, sah er mich an und sagte, dass er tausende unerlöste Seelen sieht, wie sie dunkel und schwer über der Stadt hängen. Ich glaubte ihm sofort!

Ich hatte mir nicht vorgenommen, dich dieses Mal zu besuchen. Das wollte ich ja schon oft und habe es immer wieder verschoben.

Gestern dann fuhr ich einkaufen mit dem Auto meiner Mutter. Es war kalt, aber die Sonne schien ein bisschen.
Schon als ich aus dem Auto stieg und über den Parkplatz zum Supermarkt lief, glotzten die Leute mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Einige blieben sogar stehen und drehten sich nach mir um. Sie sahen mich an aus gehässigen, bitteren Gesichtern. Zombies in beige- und graufarbenen Jacken!
Ich kaufte ein für das Mittagessen, das ich kochen wollte und rote Tulpen.
Als ich wieder im Auto saß wusste ich, dass ich jetzt zu dir fahren würde. Heute war der Tag. Ich wollte mich nicht noch einmal drücken.
Ich hielt auf dem schmalen Parkstreifen vor dem Friedhof. Als ich durch das Friedhofstor trat, beschleunigte sich mein Herzschlag augenblicklich. Ich war aufgeregt, wie vor einem Date mit dir.
Es begann zu schneien. Der Friedhofsgärtner fuhr an mir vorbei mit allerlei Geäst auf dem Anhänger. Ich lief ihm hinterher, um zu fragen wo du liegst. Ich hatte Angst, dich nicht mehr zu finden. Der Friedhofsgärtner war jung, vielleicht fünfundzwanzig. Seine Wangen glühten rot von der Kälte. Er trug keine Mütze, nur eine Latzhose und eine wattierte Jacke. Ich nannte ihm deinen Namen und er schüttelte mit dem Kopf: Sagt mir nichts. Ich erzählte ihm, dass ich vor vielen Jahren hier war und dich links oben hinter dem kleinen Hügel vermutete. Ich fragte ihn, ob es einen anonymen Friedhofsteil gibt, denn ich erinnerte mich plötzlich an deinen Wunsch, anonym begraben zu werden. Das hattest du in deinem letzten Brief geschrieben.
So was ham wir hier nicht, sagte der Gärtner und lächelte mich freundlich an. Ich konnte mir vorstellen, dass deine Eltern das auch nicht übers Herz gebracht hätten.
Der Gärtner ging in ein kleines Häuschen, wahrscheinlich das Büro, er schlug deinen Namen nach und kam wieder heraus, machte den Motor seines Autos aus und ging schweigend vor mir her, um mich zu dir zu bringen. Seine Schritte waren groß und ich hatte Mühe mit ihm mitzuhalten.
Die roten Tulpen hielt ich fest in der Hand. Wir liefen den Hauptweg entlang, dann links, so wie ich gedacht hatte. Wir liefen durch die Reihen und ich wusste: Hier bist du nicht. Mein Herz schlug sehr gleichmäßig. Der Gärtner stellte sich wieder auf den Hauptweg und rief laut den Namen eines Mannes in die Stille. Mein Chef. Er sah mich an und lächelte wieder so freundlich. Ich fragte mich, wo er sein sollte, denn ich sah niemanden. Weder auf dem Weg, noch zwischen den Gräbern. Mittlerweile schneite es so stark, dass auch die letzten Besucher gegangen waren. Ein paar Minuten später, tauchte ein Mann auf. Er nickte mir zu und ich sagte, dass ich dich suchen würde. Er nickte und brachte mich sofort zu dir. Je näher ich dir kam, desto schneller schlug mein Herz. Du lagst da, wo ich dich vor zwanzig Jahren das einzige und letzte Mal besucht hatte.
Wusste der Mann von dir? Kannte er deine Geschichte? Reimte er sich zusammen, wer ich war?

Und dann stand ich da vor deinem Grab. Es sah schön aus. Wie ein Bett mit einer Buchshecke drum herum . Weidenkätzchen über dem Stein, auf dem nur dein Vorname steht. Du hattest so einen schönen Namen! Einen Namen, der so gut zu dir passte. Die Weidenkätzchen also über deinem Kopf. Moos als Decke über deinem Körper. Die Bepflanzung sah aus wie ein Körper. Hatte deine Mutter es so gedacht? Ich legte die Tulpen auf dein Herz.
Na klar musste ich weinen! Ich stellte mir vor, meine Tränen fielen wie im Märchen auf die gefrorene Erde und tauen dich auf da ganz tief unten. Ich fühl mich dir immer noch nah. Auf einmal bin ich wieder fünfzehn. Ich spreche mit dir ohne mir blöd dabei vorzukommen. Ich schaue zu dir herunter und dann in die chaotischen Flocken. Mir ist nicht schwer. Mir ist plötzlich ganz leicht.

Als ich gehe hört es auf zu schneien. Ich laufe den Hauptweg entlang und drehe mich noch einmal um, um mir deinen Platz zu merken. Du liegst hinter den „zwei Schwestern“ so nenne ich die hohen, langen Bäume. Und ich weiß, dass ich dich jederzeit wieder finden kann. Das beruhigt mich.

Es ist, als bist du jetzt ein bisschen bei mir. Ich bilde mir ein, deine Anwesenheit zu fühlen oder die Sehnsucht danach.
Würden wir uns noch kennen, wenn du noch da wärst?
Du wärst jetzt sechsunddreißig. Ein Jahr älter als ich.