Synchronizität
Vor drei Jahren fahre ich mit alten Zügen durch die Ukraine
bis nach Odessa. Häufig reise ich mit Nachtzügen, schlafe in alten Waggons.
Jeder Waggon hat seinen Zugbegleiter. Dieser brüht Tee im Samowar, verkauft
heimlich Bier und weckt morgens die Passagiere. Ich liege zwischen alten
Frauen, Hühnern und oft auch betrunkenen Männern.
Ich bleibe vier Tage in Odessa- meine letzte Station auf
dieser Reise. Ich laufe und fahre mit der Tram durch die Stadt und übernachte in einem alten Hotel mit
langen u- förmigen Fluren. Niemand spricht englisch. Ich spreche weder russisch, geschweige denn ukrainisch. Die Hoteldame ist sehr
unfreundlich. An einem Morgen gegen fünf, höre ich kräftiges, schnelles Schlagen gegen meine Tür: drei Männer stehen plötzlich im Raum- sie sagen nichts, sondern holen ein Kinderbett, welches im Nebenzimmer steht, heraus und lassen die Tür wieder laut ins Schloß fallen.
An meinem letzten Abend dann überfällt mich unerwartet eine
massive Angst. Ich gehe zurück zum Hotel und denke stundenlang, dass ich krank
bin und vielleicht in eines der Krankenhäuser muss und mir dort niemand helfen
kann, weil ich nicht verstanden werde. Da ich ukrainische Krankenhäuser
fotografiert habe auf meiner Reise, weiß ich, dass es nicht ratsam ist sich
dort in irgendeiner Weise aufzuhalten. Die Krankenhäuser wirken wie kurz nach
dem Krieg. Ich steigere mich immer weiter in eine Panik. Als es wieder hell
wird, schlafe ich endlich ein.
Zeitgleich trifft meine Mutter meinen Vater wieder- in
Deutschland, nach dreißig Jahren. Ich weiß davon nichts.
Später, als ich wieder zurück bin, wird sie mir von diesem Treffen
erzählen. Sie wird mir erzählen, dass er die ukrainische Staatsbürgerschaft
angenommen hat, in Kiew lebt und oft in Odessa ist, weil er dort ein Haus baut.
Sie wird mir erzählen, dass er sein Geld damit verdient, gebrauchte
medizinische Geräte aus Deutschland einzukaufen. Diese verkauft er dann an
ukrainische Krankenhäuser. Er erzählt ihr, dass die medizinische Versorgung
nach wie vor schlecht ist. Dass es nicht ratsam ist, sich dort in irgendeiner Weise aufzuhalten.
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