Es war ein kalter Sommer. Es
regnete viel.
Ich wohnte damals in einer alten
Wohnung mit zwei Zimmern, die ich von Herrn Kuklinski übernommen hatte. Er
hatte über dreißig Jahre in der Wohnung gelebt, sich eine Dunkelkammer in der
ehemaligen Vorratskammer eingerichtet, um seine Fotos selbst zu entwickeln. Sogar
ein Radio hatte er an die Wand montiert. Einen alten Weltempfänger. Ich hatte
alles so gelassen, wie es war. Herr Kuklinski trank ungesund viel, erzählten
die Nachbarn. Am Ende schaffte er es nicht mal mehr raus in die Kaufhalle.
Seine Tochter holte ihn ab und nahm ihn mit. Sie lebte irgendwo in
Süddeutschland.
All meine Fenster gingen zum
Hinterhof raus. Der Hinterhof war wild und grün und ich konnte die Äste der
Linde berühren, wenn ich das Fenster öffnete.
Wir lagen viel herum in diesem
Sommer. Wir redeten und aßen und
rauchten und tranken Wein und Tee in meinem Bett.
Wir hatten uns im Einführungsseminar
Philosophie kennengelernt. Es ging um den Marxismus.
Martin hatte mich nach einer
Vorlesung angesprochen. Während der Vorlesung hatte er hinter mir gesessen. Mir
war, als pustete mir jemand ab und zu in den Nacken, aber sicher war ich mir
nicht.
Wir hatten uns ein paar Mal geküsst,
was sehr schön war und festgestellt, dass das trotzdem nichts würde mit uns. Wir mochten uns. Und trafen uns viel.
Und dann kam Karol dazu. Martin hatte ihn mitgenommen zu mir, eingeladen ohne
mich zu fragen. Karol war ganz still und sagte am Anfang kaum etwas. Er war so
altmodisch in seiner Art und trug die Hemden seines Großvaters auf. Seine Hosen
waren immer ein Stück zu kurz. Er sah aus wie aus der Zeit gefallen und trank
am liebsten kräftigen schwarzen Tee mit frischer Zitrone. Wir drei entwickelten
eine große Nähe in diesem Sommer, wir verließen ja fast nicht mehr das Haus.
Martin begann jeden Tag für uns zu kochen und einzukaufen. Karol suchte die
Musik aus, denn er konnte es schlecht ertragen, wenn Martin oder ich das taten.
Wenn Martin und ich die
„Moorsoldaten“ sangen und das am liebsten laut und schmetternd, dann konnten
wir Karol die Wut ins Gesicht zaubern, von einer Sekunde auf die andere!
Ein Tag im August werde ich wie ein
sich langsam bewegendes Foto in Erinnerung behalten:
Wir hatten die ganze Nacht geredet,
ich kann mir nicht mehr vorstellen über was, Martin diskutierte so gern und
verlor sich oft in ausschweifenden Monologen. Alle waren wir übermüdet, es wurde
langsam hell, im Zimmer hing der Rauch unserer Zigaretten der letzten Nacht und
ich ging zum Fenster und öffnete es. Wir drei lagen da in einer blauen Stille,
draußen rauschte der Wind in den Blättern und der Regen ging leicht. Karol drehte
sich mit dem Oberkörper aus dem Bett, um den Tonarm des Plattenspielers auf die
Platte zu legen. Wir lagen und hörten zu. Als die Gnossienne No.3 von Satie begann, war es im Zimmer
stiller als still. Nur durch die Musik. Draußen die Linde war so unwirklich grün.
Das Licht des beginnenden Morgens fiel milchig durch die Vorhänge, die halb vor
dem geöffneten Fenster hingen. Karol und Martin atmeten tief und gleichmäßig.
Sie schliefen und nur ich war noch wach. Ein müdes Wachsein, wo Traum fast
nicht mehr von Wirklichkeit zu unterscheiden ist, wo Dinge zu mäandern
beginnen. Der Kater lag gegenüber auf einem der Sessel und blinzelte mir aus
verschlafenen, orangefarbenen Augen zu.
Ein Jahr später schrieb mir Karol
Karten aus Spanien.
Einmal bekam ich eine Karte aus China. Aber das war später...