Er war nicht nur hübsch, sondern auch wild und auf eine charmante Weise rebellisch. In seinem Gesicht glitzerte immer der Schalk. Er sagte mir oft, dass er auf keinen Fall werden wolle, wie sein Vater, der mein Stiefvater war.
An einem Sonntag im Winter, als sehr viel Schnee lag und unsere Eltern nicht da waren, ging mein Bruder in die Garage, holte das Moped heraus und lies es im Hof an. Sein Vater hatte ihm verboten im Winter damit zu fahren. Er rief mich herunter und fuhr mit mir zur Rosewiese, eine riesige Wiese, die wie ein weites, weites Schneefeld vor uns lag. Er hatte einen Schlitten hinter das Moped gespannt und setzte mich darauf. Er sagte "Halt dich gut fest!" und raste mit dem Moped und mir dahinter auf dem Schlitten wie ein Irrer über die Wiese durch den Schnee.
Den Rest des Winters hatten wir Stubenarrest. Ein Nachbar hatte uns gesehen und verpetzt. Mein Stiefvater redete wochenlang kein Wort mit seinem Sohn.
Mein Bruder und ich spielten "Winterschlaf". Obwohl er sechzehn war und ich erst acht, baute er mit mir Höhlen in seinem Zimmer, das an meines grenzte. Wir versteckten uns in den heißen, dunklen Höhlen und er erzählte mir. Zum Beispiel von den älteren Mädchen oder wir malten uns aus, wie es wäre einen Hund zu haben, den wir aber nie bekommen sollten. Manchmal lagen wir einfach nebeneinander stundenlang und ich fühlte mich ihm so nah, als wäre er mein richtiger Bruder. Ich konnte mir lange, lange nicht vorstellen, dass nicht einmal ein Teil desselben Blutes durch unsere Adern fließt.
In der Kürze liegt die Würze. Deine wenigen Worten lassen erinnern, sie lassen eine ganze Welt entstehen. Auch gelingt es Dir dich an die Sprache der Kindheit zu erinnern. Sie ist leicht und tragisch. Schön.
AntwortenLöschenDanke für diesen stimmungsvollen Text! Da klickt man eine Seite an und wird ganz weit weg gehoben, in eine Kindheit, die auch die eigene sein könnte...
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