Margarethe liebte Geranien. Ich mochte sie die meiste Zeit
meines bisherigen Lebens nicht.
Jetzt überwintern sie schon das dritte Jahr in Folge vor
meinem Küchenfenster. Ihre Stiele werden länger und das untere drittel wird
braun und verknöchert. Ich mag das.
Die Mutter meiner Mutter war still. Zurückhaltend. Bedacht
darauf, kein Aufsehen zu erregen. Nicht das Gerede der Leute auf sich zu
ziehen.
Margarethe lebte angepasst. Meine Mutter sagte oft, sie wäre
in einer Scheinharmonie groß geworden. Nach Außen hin war alles in Ordnung. Nur
Innen drin, da brannte es.
Meine Mutter war das jüngste von fünf Kindern. Margarethe
war schon dreiundvierzig Jahre alt, als sich meine Mutter völlig unerwartet
ankündigte. Margarethe schämte sich dafür.
Ich liebte sie sehr.
Sie lag im Sterben, da irrte ich gerade durch Cadiz. Ich
suchte Zuflucht vor der Hitze in Kirchen. Die weinenden, leidenden Heiligen
gaben mir und meinem Zustand den Rest.
Ich wusste nicht wie ich den Rückflug überstehen sollte,
denn in diesen Tagen hatte ich nur Angst. Angst zu fallen. Angst keine Luft
mehr zu bekommen. Angst die Kontrolle zu verlieren. Angst es nicht mehr nach
Hause zu schaffen. Angst verrückt zu werden. Angst vor meinem eigenen,
schnellen Herzschlag.
Meine Mutter hatte sie aus dem Krankenhaus in ihre Wohnung
geholt. Das Pflegebett hatte sie direkt vor dem französischen Balkon
aufgestellt.
Draußen war August. Es war heiß. Und Margarethes Geranien
blühten in rot und pink.
Meine Mutter erzählte, dass sie noch mal „klar“ war, als sie
wahrnahm, dass sie in ihrer Wohnung war. Ein letztes Aufflammen, ein typischen
Symptom kurz vor dem Sterben.
„Meine Geranien“, hatte Margarethe gesagt, hatte meine
Mutter erzählt. Ich weiß nicht, ob das stimmt.
Margarethe verabschiedete sich mit einem Niesen aus dieser
Welt.
Die Angst war weniger geworden danach.
Wir räumten die Wohnung aus. Nahmen die Geranien aus ihren
Halterungen. Schleppten sie ins Auto. Bei dem Blick zurück: die Leere, die an
Stelle der Blumen getreten war.
Zu Hause setzte meine Mutter die Geranien in neue Erde.
Im Herbst schnitten wir sie stark zurück und stellten sie
zum Überwintern in den Keller.
Ich nahm mir eine davon im Frühjahr mit nach Berlin. Sie war
verknöchert, braun an den unteren Stielen. Ich behielt sie, obwohl es nicht so
aussah, als würde sie sich überhaupt noch mal erholen.
Dann kamen die ersten neuen Triebe, die ersten Blüten.
Ich machte es wie eine meiner Tanten: die Blumen die man von
jemandem geschenkt bekommt, bekommen den Namen des Schenkenden.
Margarethe blühte wie verrückt in diesem Sommer!
Und auch ich schrieb über Blumen ... ein sensibler Text, nein: Geschichte. Danke.
AntwortenLöschen