Montag, 2. Februar 2015

"The Return of the Rivers"


           CONTENTS
All the rivers run into the sea;
yet the sea is not full;
unto the place from whence the rivers come,
thither they return again.

 It is raining today
 in the mountains. 
 
It is a warm green rain
with love
in its pockets
for spring is here,
and does not dream
of death.
         Birds happen music
         like clocks ticking heaves
         in a land
         where children love spiders,
         and let them sleep
         in their hair.

        A slow rain sizzles
        on the river
       like a pan
       full of frying flowers,
       and with each drop
       of rain
       the ocean
       begins again."
 


          (aus: Richard Brautigan "The Return of the Rivers")

Gestern war ich an deinem Grab. Ich war bisher nur einmal dort, das ist Jahre her, so dass ich nicht mehr wusste, wo dein Grab war, nur ungefähr wo. Ich wusste noch, dass du kein Grabstein hattest oder bilde ich mir das ein?

Immer wenn ich nach G. komme und in diese Stadt rein fahre, möchte ich kotzen.
Es überfällt mich augenblicklich eine Schwere und eine komatöse Müdigkeit. Die Häuser, die Straßen, die Menschen- alles ist Sumpf. Und ich frage mich ist es deshalb, weil ich hier oft unglücklich war und das Unglück mich wie eine alte Bekannte sofort begrüsst oder ist die Stadt wirklich so übel, wie sie rüberkommt?
Ich hatte mal einen Schamanen kennengelernt. Wir fuhren mit dem Auto über die Landstraßen und als wir kurz vor der Stadt waren, sah er mich an und sagte, dass er tausende unerlöste Seelen sieht, wie sie dunkel und schwer über der Stadt hängen. Ich glaubte ihm sofort!

Ich hatte mir nicht vorgenommen, dich dieses Mal zu besuchen. Das wollte ich ja schon oft und habe es immer wieder verschoben.

Gestern dann fuhr ich einkaufen mit dem Auto meiner Mutter. Es war kalt, aber die Sonne schien ein bisschen.
Schon als ich aus dem Auto stieg und über den Parkplatz zum Supermarkt lief, glotzten die Leute mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Einige blieben sogar stehen und drehten sich nach mir um. Sie sahen mich an aus gehässigen, bitteren Gesichtern. Zombies in beige- und graufarbenen Jacken!
Ich kaufte ein für das Mittagessen, das ich kochen wollte und rote Tulpen.
Als ich wieder im Auto saß wusste ich, dass ich jetzt zu dir fahren würde. Heute war der Tag. Ich wollte mich nicht noch einmal drücken.
Ich hielt auf dem schmalen Parkstreifen vor dem Friedhof. Als ich durch das Friedhofstor trat, beschleunigte sich mein Herzschlag augenblicklich. Ich war aufgeregt, wie vor einem Date mit dir.
Es begann zu schneien. Der Friedhofsgärtner fuhr an mir vorbei mit allerlei Geäst auf dem Anhänger. Ich lief ihm hinterher, um zu fragen wo du liegst. Ich hatte Angst, dich nicht mehr zu finden. Der Friedhofsgärtner war jung, vielleicht fünfundzwanzig. Seine Wangen glühten rot von der Kälte. Er trug keine Mütze, nur eine Latzhose und eine wattierte Jacke. Ich nannte ihm deinen Namen und er schüttelte mit dem Kopf: Sagt mir nichts. Ich erzählte ihm, dass ich vor vielen Jahren hier war und dich links oben hinter dem kleinen Hügel vermutete. Ich fragte ihn, ob es einen anonymen Friedhofsteil gibt, denn ich erinnerte mich plötzlich an deinen Wunsch, anonym begraben zu werden. Das hattest du in deinem letzten Brief geschrieben.
So was ham wir hier nicht, sagte der Gärtner und lächelte mich freundlich an. Ich konnte mir vorstellen, dass deine Eltern das auch nicht übers Herz gebracht hätten.
Der Gärtner ging in ein kleines Häuschen, wahrscheinlich das Büro, er schlug deinen Namen nach und kam wieder heraus, machte den Motor seines Autos aus und ging schweigend vor mir her, um mich zu dir zu bringen. Seine Schritte waren groß und ich hatte Mühe mit ihm mitzuhalten.
Die roten Tulpen hielt ich fest in der Hand. Wir liefen den Hauptweg entlang, dann links, so wie ich gedacht hatte. Wir liefen durch die Reihen und ich wusste: Hier bist du nicht. Mein Herz schlug sehr gleichmäßig. Der Gärtner stellte sich wieder auf den Hauptweg und rief laut den Namen eines Mannes in die Stille. Mein Chef. Er sah mich an und lächelte wieder so freundlich. Ich fragte mich, wo er sein sollte, denn ich sah niemanden. Weder auf dem Weg, noch zwischen den Gräbern. Mittlerweile schneite es so stark, dass auch die letzten Besucher gegangen waren. Ein paar Minuten später, tauchte ein Mann auf. Er nickte mir zu und ich sagte, dass ich dich suchen würde. Er nickte und brachte mich sofort zu dir. Je näher ich dir kam, desto schneller schlug mein Herz. Du lagst da, wo ich dich vor zwanzig Jahren das einzige und letzte Mal besucht hatte.
Wusste der Mann von dir? Kannte er deine Geschichte? Reimte er sich zusammen, wer ich war?

Und dann stand ich da vor deinem Grab. Es sah schön aus. Wie ein Bett mit einer Buchshecke drum herum . Weidenkätzchen über dem Stein, auf dem nur dein Vorname steht. Du hattest so einen schönen Namen! Einen Namen, der so gut zu dir passte. Die Weidenkätzchen also über deinem Kopf. Moos als Decke über deinem Körper. Die Bepflanzung sah aus wie ein Körper. Hatte deine Mutter es so gedacht? Ich legte die Tulpen auf dein Herz.
Na klar musste ich weinen! Ich stellte mir vor, meine Tränen fielen wie im Märchen auf die gefrorene Erde und tauen dich auf da ganz tief unten. Ich fühl mich dir immer noch nah. Auf einmal bin ich wieder fünfzehn. Ich spreche mit dir ohne mir blöd dabei vorzukommen. Ich schaue zu dir herunter und dann in die chaotischen Flocken. Mir ist nicht schwer. Mir ist plötzlich ganz leicht.

Als ich gehe hört es auf zu schneien. Ich laufe den Hauptweg entlang und drehe mich noch einmal um, um mir deinen Platz zu merken. Du liegst hinter den „zwei Schwestern“ so nenne ich die hohen, langen Bäume. Und ich weiß, dass ich dich jederzeit wieder finden kann. Das beruhigt mich.

Es ist, als bist du jetzt ein bisschen bei mir. Ich bilde mir ein, deine Anwesenheit zu fühlen oder die Sehnsucht danach.
Würden wir uns noch kennen, wenn du noch da wärst?
Du wärst jetzt sechsunddreißig. Ein Jahr älter als ich. 


1 Kommentar:

  1. Ein sehr beeindruckender Text, der tief unter die Haut geht... mehr dazu kann ich gerade nicht schreiben, ich bin zutiefst berührt...

    AntwortenLöschen