Dienstag, 17. Februar 2015

Highway to Hal


Vom Schwimmen in Seen und Flüssen 

Im bleichen Sommer, wenn die Winde oben
Nur in dem Laub der großen Bäume sausen
Muß man in Flüssen liegen oder Teichen
Wie die Gewächse, worin Hechte hausen.
Der Leib wird leicht im Wasser. Wenn der Arm
Leicht aus dem Wasser in den Himmel fällt
Wiegt ihn der kleine Wind vergessen
Weil er ihn wohl für braunes Astwerk hält.
Der Himmel bietet mittags große Stille.
Man macht die Augen zu, wenn Schwalben kommen.
Der Schlamm ist warm. Wenn kühle Blasen quellen
Weiß man: Ein Fisch ist jetzt durch uns geschwommen.
Mein Leib, die Schenkel und der stille Arm
Wir liegen still im Wasser, ganz geeint
Nur wenn die kühlen Fische durch uns schwimmen
Fühl ich, daß Sonne überm Tümpel scheint.
Wenn man am Abend von dem langen Liegen
Sehr faul wird, so, daß alle Glieder beißen
Muß man das alles, ohne Rücksicht, klatschend
In blaue Flüsse schmeißen, die sehr reißen.
Am besten ist´s, man hält´s bis Abend aus.
Weil dann der bleiche Haifischhimmel kommt
Bös und gefräßig über Fluß und Sträuchern
Und alle Dinge sind, wie´s ihnen frommt.
Natürlich muß man auf dem Rücken liegen
So wie gewöhnlich. Und sich treiben lassen.
Man muß nicht schwimmen, nein, nur so tun, als
Gehöre man einfach zu Schottermassen.
Man soll den Himmel anschauen und so tun
Als ob einen ein Weib trägt, und es stimmt.
Ganz ohne großen Umtrieb, wie der liebe Gott tut
Wenn er am Abend noch in seinen Flüssen schwimmt. (B.Brecht)


Naja, es war nicht direkt ein Highway, eher eine Landstraße in Mecklenburg- Vorpommern, die ich lang fuhr. Ich hatte meinen Cowboyhut aufgesetzt, ich weiß nicht warum. Ich fühlte mich irgendwie sicher unter dem Hut.
Ich hatte seine Adresse über Umwege erfahren, als ich in Berlin nach jemandem suchte, den ich aufsuchen und befragen konnte. Zum Beispiel zum Thema tiergestaltige Geister. Irgendwie interessierte mich das schon immer brennend und ich recherchierte gerade für eine Geschichte, die ich schreiben wollte.
Nach langer Zeit des Umhörens empfahl mir jemand jemanden, den ich anrufen sollte, um die Adresse zu erfragen. Und ich sagte laut, das gibt’s doch nicht, als ich erfuhr dass er in einem Dorf mit drei Häusern im Mecklenburgischen wohnte.

Er nannte sich Hal.
Er saß vor einer Art Bungalow. Das Grundstück drum herum war eingezäunt, also es waren ein paar Pflöcke in den Boden gerammt und diese Pflöcke waren lose verbunden mit Wäscheleinen. An diesen Wäscheleinen hingen bunte Fäden, altes Geschenkband, schätze ich. Die Bänder ließen sich träge vom Wind heben und grüssten freundlich, aber uninteressiert.
Hi, sagte ich.
Hi, sagte Hal.
WillstnKaffee?

Hal war braun. Sehr braun. So braun, dass seine Haut aussah, als wäre sie sehr dick und wasserabweisend. Seine Haare waren blond gefärbt UND ausgeblichen, so weit ich das beurteilen konnte, also fast weiß. Und verfilzt standen sie um seinen Kopf wie ein verknickter Heiligenschein. Seine Augen waren sehr hell und blau und sahen mich durchdringend aus seinem dunklen Gesicht an. Hal trug nur einen Lendenschurz und lila Crocs, was mich etwas verunsicherte, aber seine Halbnacktheit schien kein innerliches Thema für ihn zu sein, so dass seine Körpersouverenität sofort auf mich überging. Er trug seinen großen Bauch so vor sich her, als hätte er darin etwas Besonderes versteckt. Versonnen streichelte er immer wieder über seine Haut, die darüber spannte.
Hal war von der gemütlichen Sorte. Er bewegte sich langsam über den Hof, auf dem er noch Hühner hielt, einen Esel und eine Hündin, die weiß und mystisch durch die Rhododendron und Himbeerbüsche schlich und mich mit ihren Augen aufmerksam beäugte. Die Hühner pickten mit ihren Schnäbeln im Sand herum.

Als Hal mit dem Kaffee zurück kam fragte ich ihn, wie es denn kam dass er Schamane sei- eigentlich sehe er eher aus, wie ein Hippie, aus Deutschland, einer der ausgestiegen sei: Naja, du weißt schon, kein Bock mehr auf Gesellschaft und so.
Ja, genau, antwortete Hal. Mehr sagte er nicht und steckte sich ne selbstgedrehte Zigarette zwischen die Zähne.
Kannst du mir bitte irgendwas von deiner Schamanenkunst zeigen, bat ich ihn, als ich den Kaffee längst ausgetrunken und mich in immer weitere unbeantwortete Fragen verstrickt hatte. Hal sah mich an, lange: Nur wenn ich deinen Hut bekomme.
Aber es ist der schönste Hut, den ich besitze. Ich weiß nicht, ob ich ohne ihn leben kann, sagte ich.
Man kann ohne alles leben, sagte Hal und sein Lächeln kam mir groß und mit schlechten Zähnen entgegen. Es steigerte sich zu einem Lachen und endete in brodelnden Hustengeräuschen von ganz tief unten. Hal zog den Rotz hoch und spuckte auf die heißen Steine. Die weiße Hündin gähnte in einem der Büsche.
In mir fing es an zu fiebern: ich hing an dem Hut, wie der Ast an seinem Baum! Er stammte noch aus der Zeit, als meine Mutter mir erzählte, mein Vater hätte ihn auf einem seiner Reisen über die Flüsse gegen ein paar Flaschen Schlehenschnaps getauscht, um ihn mir zu meinem sechsten Geburtstag zu schicken. Nein, den Hut konnte ich ihm nicht geben, auch wenn ich einsah, dass er dringend eine Kopfbedeckung brauchte, denn die Sonne hatte schon rotbraune Flecken auf die nicht mehr von Haaren gut bedeckte Kopfhaut von Hal gebrannt. Ich wollte ihn über die Risiken direkter Sonneneinstrahlung aufklären, aber dann dachte ich: erstens, dass er’s wissen wird und zweitens ja Schamane ist und sich vielleicht jederzeit selbst heilen kann?
Irgendwann, sah er mich an, nickte mit dem Kopf, strich sich über seinen Bauch und sagte: Komm!

Es dämmerte fast. Das Licht fiel schön golden zwischen den alten Obstbäumen seines Gartens hindurch. Die Rhododendron dufteten als müsse die ganze Welt von ihrer Existenz erfahren. Die weiße Hündin lief selbstverständlich hinter uns her. Manchmal blieb sie plötzlich stehen und starrte zurück. Wohin fahren wir, fragte ich, als er einen Autoschlüssel aus seinem Lendenschurz holte. Hal sah mich an und sagte: nach Hause.
Wir saßen schweigend in seinem Pick Up und fuhren mit 50 Stunden Kilometern durch eine gewundene Allee mit großen alten Bäumen und ich nahm mir mal wieder vor, mehr Baumnamen zu lernen. Rotdorn, sagte Hal, als könne er Gedanken lesen. Du kannst dich jederzeit mit dem Energiekörper eines Baumes verbinden, direkt aus dem Solarplexus. Dein Baum ist übrigens die Kopfweide!
Hä, die Kopfweide? Warum?
Scht! brummte Hal, schüttelte eindeutig mit dem Kopf und zündete sich ne selbstgedrehte an.
Er stoppte den Wagen, nachdem wir links in einen Feldweg eingebogen waren. Ich konnte das Wasser eines Sees schon von weitem riechen. Es roch nach Schlick und Erde. Wir liefen noch ein ziemliches Stück am Ufer entlang. Ich hörte das Gluckern, das die Fische machten, wenn sie kurz an die Wasseroberfläche kamen um nach Fliegen zu schnappen, das Schnattern der Enten im Schilf und den bleichen Haifischhimmel, der tosend in seiner Stille über uns hing.


Ich fühlte mich völlig aufgehoben. Bis sich manchmal mein Kopf einschaltete und darüber nachdachte, dass ich gerade mit einem Mann, den ich erst seit ein paar Stunden kannte, der so gut wie nicht redete und mir noch keine einzige Frage beantwortet hatte, der nur mit einem Lendenschurz bekleidet gerade dabei war eine Grube auszuheben, die so groß zu werden schien, dass mein Körper genau hinein passte und der scharf auf meinen Hut war ,zusammen war und freiwillig blieb. An einem einsamen See, irgendwo zwischen Weizenfeldern und einem Mischwald! Ich hielt meinen Hut fest und mir kam zu Gute, dass ich mir nur wenig Böses vorstellen konnte und wenn doch, besaß ich einen ausgeklügelten Verdrängungsmechanismus, den ich jederzeit und sofort aktivieren konnte.
Die weiße Hündin lag jetzt so dicht an mir dran, dass ich die Wärme ihrer Haut spüren konnte. Sie gähnte mit weit offenem Maul, um dann ihren Kopf zwischen ihre Pfoten zu legen und verschlafen zu blinzeln. Ich konzentrierte mich auf ihr Herz, dass ich im immer gleichen Rhythmus unter ihrem weißen Fell schlagen sah.

Hal hatte die Grube inzwischen ausgehoben. Er war jetzt dabei ein Steinkreis um die Grube zu legen und Holz für ein Feuer zu sammeln. Das alles geschah sehr langsam, so dass der Himmel bereits tief dunkelblau war, als er das Feuer entzündete.

Er holte mich ab und wir setzten uns in den Kreis.  Ich schaute auf den See. Die Flammen knisterten als würden sie wispern. Wisper, wisper. Die Fische schliefen bereits, denn der See lag jetzt dunkel und glatt und still.
In Hals Fingern raschelte das Zigarettenpapier. Die Dose, die er in der anderen Hand hielt, machte Plopp und Zisch, als er sie mit den Zähnen aufriss und ich bekam auch richtig Lust auf Bier, aber er bot mir einfach keins an, obwohl ich ihn lange und intensiv von der Seite anstarrte, um ihn zu beschwören mir auch eins zu geben. Er rauchte gemächlich bis die Glut ein letztes Mal aufflammte. Er setzte sich hinter mich und hielt seine Hände dicht an meine Wirbelsäule ohne mich zu berühren.. es war als würden die Wirbel beginnen sich zu verschieben, in einer langsamen warmen kreisenden Bewegung.
Als ich mich in den ausgehobenen Sand legte, hielt er meinen Kopf in seinen Händen und wiegte ihn leicht hin und her.
Er begann zu singen in einem tiefen brummenden Ton und ich musste ein bisschen kichern, denn Schamanen mit Bieratem hatte ich mir nicht vorgestellt.

Er stand auf und begann zu rasseln, im Kreis: vor mir, hinter mir, über mir, um mich dann mit dem Sand zu zudecken, der noch warm vom Tag auf meinen Körper fiel.
Die Schwere drückte mich in die Erde. Hal legte mir am Schluss noch ein Tuch über mein Gesicht. Er sagte: in einer halben stunde hole ich dich zurück. Du bist vollkommen sicher. Und ich dachte, wie kann ich solange in dieser Grube liegen.
Ich spürte mein Herz schlagen und Bilder begannen an mir vorbei zu ziehen, schöne und schreckliche, traurige, aufgewühlte, bis mein Körper sich entspannte.

Als ich aufwachte, dämmerte der Morgen. Der Haifischhimmel war zurückgekehrt und wartete noch einen Moment, bevor er das Licht frei lies.
Der Steinkreis war verschwunden, nur die Glut des Feuers glimmte noch. Die Decke, die über mir lag war klamm und die Fische hatten ihr Leben wieder aufgenommen.
Hal war nicht mehr da.
Meine Haut war voll von Sand, ich rieb mir das Gröbste herunter, zog mein Kleid über den Kopf und lief in den blassgrünen See. Unter Wasser schwebten meine Haare wie Seetang um meinen Kopf. Ich schwamm ein paar tiefe Züge in der Hoffnung einem Hecht zu begegnen und dann drehte ich mich auf den Rücken, breitete die Arme aus und schaute in die aufbrechende Sonne. Oh ja, ich war zu Hause! Nenn mich pathetisch! Aber das Leben schoss durch meinen Körper wie eine Zentrifuge!

Konnte das wirklich sein, dass ich alles nur geträumt hatte?
Ich suchte meinen Hut überall und machte mich schließlich auf den Weg, von dem ich sicher war, ihn gestern Abend mit Hal gegangen zu sein.
In mir war es ruhig. Ich konnte es nicht verstehen, denn schließlich war mein Hut weg und ich hatte mir wahrscheinlich einen Schamanen eingebildet, der mich in einer Grube verbuddelt hatte.

Da wo ich den Pick Up vermutete stand mein Auto. Der Schlüssel steckte. Die Hitze im Auto umschloss mich wie ein Freund. Ich fuhr zurück auf die Landstraße. Ich fuhr langsam, denn ich zweifelte  immer noch an meinem Verstand.
Und als ich mein Blick schweifen lies, sah ich sie plötzlich: wie ihr Fell weiß durch die Bäume schimmerte. Sie überquerte die Straße etwa fünfhundert Meter vor mir, ich bremste ab, sie blieb stehen, sah mich an, ein paar Sekunden vielleicht, bevor sie auf der anderen Seite in den weiten Weizenfeldern verschwand.
 


3 Kommentare:

  1. Highway to Hal... toller Titel, schräge Geschichte, wunderbar geheimnisvoll erzählt und so bildhaft, dass ich Hals charakteristischen Bauch und seinen besonderen Atem spüren kann... super!

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  2. Gefällt mir auch sehr gut. Sowieso find ich es total verlockend den Schamanismus kennenzulernen :D Lg

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